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Jerusalem

5. Jerusalem in der kalten Jahreszeit

By 11. Juni 2020No Comments

Unser dreimonatiger Arbeitseinsatz ging dem Ende entgegen. Ab Mitte Oktober wurde es kühler und ab und zu regnete es auch. Tendenz zunehmend. Unsere Ausflüge nach Tel Aviv mit Baden und Strandbummel bis Jaffa hatten wir mehrmals gemacht. Wir versuchten unseren freien Tag in der Neustadt zu verbringen. Trotz Schirm brachen wir die Aktion ab. Der Sturzregen hatte uns in kürzester Zeit bis zu den Oberschenkeln durchnässt. Mit dem preiswerten Stadtbus fuhren wir also zurück in die German Kolonie und nach 200 Metern Fußweg waren wir wieder in St. Charles. Warm war es aber auch dort nicht. Die Heizung machte seit einigen Tagen zwar Rauchzeichen wie die Titanic beim Auslaufen, aber die Heizkörper blieben lau. Zum nächsten Morgen, ein normaler Arbeitstag, bekam Omran und ich von der Oberin den Auftrag zur Reinigung der Ölheizung. Die Rußflocken verhinderten inzwischen schon das Öffnen der Fenster.

Omran war Hausmeister, Gärtner, Muslim, auch Mädchen für Alles, wie ich, und inzwischen auch mein Freund. Er hatte, wie fast alle Handwerker, keine Ausbildung. Oder besser gesagt, keine bei uns übliche. Im arabischen Raum laufen die Jungen meist bei einem Familienangehörigen Handwerker mit und lernen somit nicht mehr als dieser kann. Etwas von anderen annehmen verhindert der Stolz. Hinweise über das, was ich in meiner Schlosserausbildung noch wusste, wurden also erst mal ignoriert. Das merkte ich auch, als ich das erste Mal mit den Vorarbeitern, die das Dach und die Volontärs-Quartiere darunter erneuerten. Das einzige Gemeinsame war unser schlechtes Englisch. Meins aus ein paar Kursen in der Volkshochschule und die Vorarbeiter vom Hören auf der Straße. Schreiben konnte sie wohl nur arabisch. Als ich mal wieder mit der alten Oberin sprach, meinte sie nur, dass sie mit ihrer über 40jährigen Anwesenheit im arabischen Raum immer noch nicht diese Mentalität richtig verstand. Sie kannte aber viele Eigenheiten und so suchte ich oft ihren Rat. Ich hatte ihr ja im Laufe meiner Aufenthalte einige alte Nähmaschinen wieder zum Laufen gebracht, die vorher von einem „Experten“ repariert wurden. Meist nur eine Kleinigkeit, die beim Zusammenbau der Mechanik nicht beachtet wurde. Wieder einmal Unwissenheit und Stolz. Garantie war eher so wie bei uns Lotto. Hier ein Lob auf das deutsche Handwerk.

Omran traf ich meist im großen Garten. Er war sicher am Ende des Wasserschlauches bei seiner entspannenden Lieblingsbeschäftigung zu finden. Dort unterhielten wir uns auch oft über privates, was meinen Mut zum Englisch stärkte. Mit Erfolg, wenn der Wille zur Verständigung da ist. Er wurde beim Sechs-Tage-Krieg als Kind mit seinen Eltern aus seiner Wohnung vor der Klagemauer vertrieben. Auf die Politik der Juden war er, wie fast Alle die ich kennenlernte, nicht gut zu sprechen. Die Häuser mussten dem jetzigen Platz weichen. So lief er schon in jungen Jahren bei seinem Onkel, der als Hausmeister im St. Charles angestellt war, mit. Während der 1. Intifada half er den Schwestern beim Überleben, denn die Wut seiner Landsleute war zwar verständlich, traf aber oft auch die Falschen. Er besorgte Essen und schützte sie vor Übergriffen. Inzwischen wohnte er im Norden Jerusalems in der nähe der Universität am Ölberg. So erfuhr ich auch einiges von seiner Familie. Sein Junge studierte, ein Mädchen war wohl nicht so attraktiv und musste verheiratet werden. Die zweite Tochter war zwar hübsch und intelligent, wollte aber nicht heiraten. Im vergangenen Jahr ist Omran noch Mal Vater geworden. Er half seiner Frau sogar bei der Hausarbeit. Der Nachbar durfte das aber nicht sehen, wegen Ehre und Stolz.

Nun standen wir im Heizungskeller und machten erst mal den total verrußten Ofen sauber. Wir ernteten mehrere Eimer voll Ruß für den Gartenkompost. Die Ursache für das Übel war aber die Luftzufuhr. Die Regulierung hing daneben. Es dauerte, bis ich meinem Freund davon überzeugt hatte, dass wir die Mechanik innen nachsehen müssen, weil wir sonst in einer Woche wieder hier mit dem Ruß zu tun hätten. Das kannte er nicht, ich hatte Ähnliches aber aus meiner Lokführerzeit mit den störanfälligen Heizkesseln der Diesel-Baureihen 110 und 118 der Deutschen Reichsbahn schon erlebt. Nachdem wir eine ausgehakte Feder wieder eingehängt und alles wieder zusammengebaut hatten kam nun der Probelauf. Omran startete die Anlage und wir gingen auf den Innenhof. Über dem Dach sahen wir nur eine kleine weiße Wolke. Es hatte geklappt und wir fielen uns, so rußig wie wir waren, in die Arme. Unsere gemeinsame Arbeit war geglückt. Ich war mir sicher, dass er es beim nächsten Mal alleine hinbekam. Aber auch von ihm habe ich gelernt. Zum Beispiel beim Ausbessern einzelner Wandfliesen. Er meinte: „Warum willst du Zement anrühren? Mach mit Silikon. Gut verfugen und OK“.

Wir hatten nun wieder warme Quartiere und der Dank der Schwestern war uns sicher. Kurze Zeit später wurde uns, den Volontären, eine Busfahrt nach Tabka am See Genezareth, mit den Brüdern der Dormitzio-Kirche vom Zions Berg, die ich schon von vielen Feierlichkeiten kannte, ermöglicht. Dort war es noch sommerlich warm. Das war ein Dankeschön, was uns den Abschied versüßte denn wir mussten kurz danach ins kalte Deutschland zurück.

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