Wir waren auf der Suche. Nach dem Hausbau waren wir erstmal ausgebrannt. Sowohl körperlich als auch finanziell. Als Belohnung leisteten wir uns eine Pilgerreise ins Heilige Land. 14 Tage im Schnelldurchlauf, wie eben alle Touristen. Da mussten wir noch zur Arbeit und waren uns einig, trotz Geldeinbuße in den Vorruhestand zu gehen, weil die Arbeitsumstände immer widriger wurden. Während einer Pilgerreise ins Heilige Land trafen wir eine ältere Frau, die für ½ Jahr nach Tabga am See Genezaret unterwegs war um dort zu arbeiten und zu leben.
Für uns Ossis, die von der Rente nicht viel zu erwarten haben, war dies die Möglichkeit. Andere Länder interessierten uns schon früher, aber jetzt war es machbar. Dann waren wir im Vorruhestand. 2006 beschlossen wir uns zu bewerben. Vor Arbeit hatten wir keine Angst und die Welt mal anders kennenlernen wollten wir ja schon immer. Ich träumte von Ausgrabungen oder Bauarbeitshilfe am neuen Klosterbau an See Genezareth. Hitze machte mir nichts aus. Erst hieß es, dass erst im Herbst zu Saison wieder jemand gebraucht wird, doch dann kam plötzlich ein Anruf von Schwester Daniela aus Jerusalem. Im St. Chales Hospiz, so die Einrichtung in der wir dann insgesamt ein Jahr unseres Lebens verbrachten, fehlte jemand, der auch zu schmutziger Arbeit bereit wäre. Das Dach des Pilgerhauses wurde neu gedeckt und die Möbel und der Schutt sollten aufgeräumt werden. Nach sehr kurzer Absprache mit meiner Frau sagte ich für drei Monate von Mitte Juli bis Mitte September zu. Meine Frau ließ mich für den Testlauf vor. Für sie gab es noch keine Arbeit, weil die Gäste erst ab September anreisen würden. Und Schwester Oberin Daniela war sehr froh über die Zusage.
In Tel Aviv Airport Ben Gurion gelandet, war es erst mal sehr warm. Die Passkontrolle, bitte nur Englisch, erinnerte mich an DDR-Zustände. Und das war bis auf das letzte Mal, als keiner hinter mir stand und ich der „netten“ Person im Kasten sogar noch eine schöne Woche wünschte, jedes Mal mein Eindruck. Es ist eben eine Diktatur. Sicherheit geht über alles. Das Verständnis dafür ist nur teilweise nachvollziehbar. Bei den Kontrollen im Inneren des Landes werden Deutsche dagegen meist besonders freundlich behandelt.
Normalerweise nimmt man vom Flughafen einen „Sherud“. Das heißt Service und ist ein Kleinbus, der einen in die gewünschte Stadt und bis vor die Haustür bringt. Vom Airport bis Jerusalem etwa 1-2 Stunden Fahrt für ca. 15 €. Ich wurde aber von zwei Schwestern im Habit (Schwesternkleidung) empfangen, die auf drei Verwandte der alten Oberin warteten. Der VW-Bus der Schwestern mit Schwester Emiliana am Steuer brachte uns so kostenlos in mein neues zu hause. Das Objekt war sehr groß. Etwa 16 Hektar Land auf dem ein Gästehaus für circa 100 Gäste mit Kapelle (eher eine große Dorfkirche), ein Waschhaus für den Eigenbedarf, ein Kindergarten für 90 christliche und größtenteils muslimische Kinder, ein riesengroßer Garten und Park sowie einem eigenen Friedhof für die Bormäer-Schwestern und eine Werkstatt für den Hausmeister und mich. Daneben gleich noch zwei Bungalows. Einer für die Weißen Schwestern, die ihn ab und zu benutzten und der andere war mein erstes Quartier. Außerhalb des Gästehauses und gleich neben der Werkstatt war es ideal für den Anfang. Normalerweise waren alle Volontäre und auch die Zivis unter dem Dach des Pilgerhauses untergebracht. Wir, meine Frau und ich später auch, denn das Dach war ja erst einmal weg. Für mich erst mal unbegreiflich, weil es nicht mal mit Folie abgedeckt war. Doch es regnet in dieser Zeit nie. Volle Schränke mit Tuch abgedeckt und darüber Bauschutt vom Dachabriss begrüßten mich und meine Aufgabe.
Für Fachleute aus Deutschland wäre die erste Besichtigung haarsträubend. Ein Zustand den ich erst viel später verstehen und noch später akzeptieren konnte und musste. Erstens kennen die Handwerker dort weder eine Ausbildung wie wir sie voraussetzen noch irgendwelche Sicherheitsstandards. Männer, egal welchen IQ-Standes sind so erzogen, dass Frauen ihnen nichts zu sagen haben. Dazu kommt die Mentalität. Selbst gut gemeinte Ratschläge sind eine Beleidigung und das hätte ich besser gleich wissen sollen. Ich wunderte mich oft über Reaktionen bei den Arbeitern und auch den Architekten, die ich als Trotz oder schlechte Ausbildung wertete. Eine völlig neue Mentalität kreuzte meinen „deutschen“ Weg. Das hat viel in Bezug auf meine Vorstellung von Toleranz geprägt und verändert.
Der zweite Tag
Am 2. Tag war eine Stadtbesichtigung mit der Verwandtschaft vorgesehen. Da auf dem Dach noch nichts zu tun war sollte ich mit. Pater Christian, ein rumänischer Geistlicher, der auch im Objekt wohnte und, wenn er nicht gerade mit einer Reisegruppe unterwegs war, die morgendliche Messe für die Schwestern und die Gäste hielt, war unser Stadtführer. Mit seinem Deutsch war es noch schlecht bestellt und so kam Sr. Daniela, die neue Oberin als Übersetzer mit. Es war eine Sonderführug durch die heiligen Stätten in und um Jerusalem. Und es sollte noch nicht mein letzter Ausflug mit den Verwandten sein. Im Laufe ihres Besuches waren wir an fast allen Orten im Land, wo auch Touristen hinkommen und auch an Orten, wo offizielle Reisende nicht hindürfen. Zum Beispiel quer durch das Westjordanland.
Die Schwestern stammen aus Rumänien und mussten alle erst mal Englisch, um im Land, und Deutsch um im Haus mit den überwiegend deutschen Gästen zurechtzukommen, lernen. Außerdem mussten sie eine Fahrprüfung machen und „natürlich“ ein Instrument lernen. Für die Aufgabe, die sie dann im Gästehaus übernommen haben, gab es leider keine Ausbildung. Eine ältere Schwester ist arabische Christin und die alte Oberin ist Deutsch-Rumänin, die einen sehr interessanten Lebensweg von Rumänien über Deutschland in den Orient gegangen ist und noch mit Teddi Kollek, dem damaligen Bürgermeister von Jerusalem, verhandelt hat. Das und viele andere Geschichten erzählte sie oft, wenn ich im Speisesaal mit ihren Verwandten noch den Abend ausklingen ließen. Auch von den anderen Schwestern hörte ich im Laufe meines Aufenthaltes interessante Lebenswege. Meist bei gemeinsamer Arbeit aber auch, wenn ich als Begleitung zum Jehuda-Markt oder zum Airport Ben Gurion zum Abholen oder Bringen von besonderen Personen mitfuhr. Meist in der Nacht, wo die Schwestern nicht allein fahren sollten
So habe ich mit Rita, Dieter, die aus Hamburg kamen und Walter aus Halle, der als Bauabnahmeingenieur wohl den größten Kulturschock hatte, im Speisesaal mitgegessen und auch die Fahrten nach Nazareth und zum See Genezareth mitgemacht. An den reisefreien Tagen beschäftigte ich mich im Garten und wenn es zu heiß wurde, flüchtete ich in die etwas kühlere Werkstatt. Als ich einmal für eine Schwester etwas schneiden sollte, habe ich nicht lange mit der stumpfen Schere gewurstelt, sondern habe sie in der Werkstatt schnell neu angeschliffen. Am nächsten Tag brachte mir Schwester Xaweria, die alte Oberin, ein Korb mit stumpfen Scheren. Für Pausenarbeit war also gesorgt. Meine erste richtige Arbeit war das Reparieren der Gartenmauer, die einen großen Riss hatte. Abgefallene Fliesen wieder ankleben und verfugen, Werkzeuge instandsetzen, Gartenwege fegen, Rosen schneiden und viele andere Kleinigkeiten. Oft hatte ich auch Dienst an der Pforte. Das bedeutet, Telefonanrufe anzunehmen, die Besucher hereinzulassen oder abzuwimmeln (Kammeraüberwachung selbst im Kindergartenbereich), in besonderen Fällen die Schwestern beim Gebet stören und ans Telefon holen. Mein Abendschulenglich fand oft seine Grenzen. So war ich dann auch mal stolz, wenn ich z. B. einen Nichtdeutschsprechendem Gast erklären konnte, wie er von der Stadt bis auf unseren Hof kommt. Die Getränke nachfüllen, Postkarten und Briefmarken verkaufen, von der Post die Pakete und Briefe abholen und den Eingangsbereich säubern, zwischendurch auch mal eine kaputte Birne wechseln waren da schon leichter.
Dann war für die Hamburger der Urlaub vorbei. Walter blieb noch etwas und versuchte dem Bauingenieur den deutschen Standard zu erklären. Ohne Erfolg. Und es lag nicht an der Sprache. Mit der Abreise Walters begann für mich eine neue Runde. Als erstes zog ich zum Essen in das Zimmer 3. Dort trafen sich zur Essenszeit alle freiwilligen, die im St. Charles untergebracht waren. Die Anzahl der Volos schwankte zwischen 3 und 10 Personen. Vom Alter her waren die Jungen meist frische Abiturienten oder Studenten in ihren Semesterferien. Dann gab es wenige, die ihren Arbeitsurlaub dort als Freiwillige verbrachten. Danach ging es mit Vorruheständlern und Rentnern weiter. Eine ausgewogene Mischung. Wir gaben uns gegenseitig Tipps für die Freizeit und unternahmen oft gemeinsame Ausflüge. So lernte ich den preiswerten öffentlichen Busverkehr und die feilschenden Taxifahrer kennen. In der ersten Zeit war ich jedoch meist allein unterwegs. An den freien Tagen nahm ich meinen Rucksack mit zwei 1 L Flaschen Wasser, zwei Toastbrote mit Käse und meinen Skizzenblock mit. Natürlich auch den Strohhut, weil die Sonne im Juli sehr heftig ist. So entstanden etwa 30 Zeichnungen. Da es immer noch viel Freizeit gab und ich nicht immer Lust für einen Ausflug hatte, fing ich an Porträts von den Schwestern zu zeichnen und einen neuen Briefkopf für das Pilgerhaus zu entwerfen. Dafür zog ich einen Tisch vor die Werkstatt, stellte mir das Werkstattradio an und genoss den Schatten und die Wärme. Als dann eine Gruppe von etwa 20 jungen Leuten zur Schulung bei uns zu Gast war, ergab sich eine Möglichkeit, die ich dann noch öfter nutzte, wenn eine Reisegruppe einen Busausflug machte.
Nach ein paar Tagen kennt man die Gäste durch Begegnungen im Garten oder Haus. So nickt man sich schon bald freundlich zu und kommt auch ins Gespräch. Inzwischen waren die Schwesternporträts fertig und ich machte ein Angebot für die Volontäre ein kostenloses Bleistiftporträt zu machen. Für die anderen Gäste-„Studenten“, was sie geben würden ist dann in Ordnung. So saßen wir also im schattigen Park. Eine saß, ich zeichnete und der Rest schaute zu und wir plauderten. Ich bekam mit, dass die Gruppe am nächsten Tag einen Ausflug in die Wüste machte. So fragte ich ganz nebenbei, ob ich mitkommen kann. Dass ich auch von den Schwestern frei bekommen würde, war mir klar und so saß ich am nächsten Morgen mit im Bus. Der Tag ist eine Geschichte für sich allein. Als ich die Bilder als Mailanhang nach Hause schickte, brach bei meiner Frau dann doch der Neid aus. Aber wir haben die Wanderung mit ihr und anderen Volontären noch mehrmals gemacht.